Zerfällt die EU?


Was hält Bündnisse zusammen? Es kommt entscheidend drauf an, wer die Mitglieder sind. Wen soll das Bündnis ansprechen und verbünden? Für was und gegen was?

Die EU spricht eindeutig nicht den einzelnen Menschen an. Als Stimmbürger kann er nur derart indirekt einwirken, dass keine Vertrautheit entstehen kann, geschweige denn eine Identifikation mit dem Bündnis und seinem Schicksal. Der EU-Bürger ist allenfalls froh um praktische Vorteile wie das erleichterte Reisen oder günstigere Mobiltelefonie. Keiner würde deswegen sein Leben für die EU geben. Ist das ein Kriterium? Ja, im Wettbewerb mit dem Nationalstaat – und dieser Wettbewerb ist durchaus aktuell.

Wenns nicht unmittelbar die Bürger sind, sinds Nationen als Ganzes, die die EU anspricht? Nein, im Gegenteil: Die EU schöpft ihre Entstehung aus dem Anliegen, mächtige Nationen zu zähmen. Zu oft haben Nationen Kriege begründet, als dass die EU nationales Bewusstsein wertschätzen könnte.

Die EU – ein Konstrukt mächtiger Politiker – sieht sich zudem wie selbstverständlich der Wirtschaft überlegen. Das Primat der Politik der Wirtschaft gegenüber wird auf eine oberflächlich gefällige Weise ausgelebt: Die EU bekämpfte – zumindest vorläufig – manch eine wirtschaftliche Krise. Etliche hat sie jedoch selbst verursacht, namentlich mit dem Euro – einer an sich guten Idee, für die das Umfeld nicht bereit war und immer noch nicht ist. Auch wenn der EU die Wirtschaft wichtig ist, als gleichwertige Partnerin der Politik wird sie nicht anerkannt, vielmehr als Zudienerin genutzt.

Wessen Bündnis ist also die EU? Der Regionen? Unmöglich, denn Europa ist nicht flächendeckend in Regionen organisiert.

Die EU ist ein Bündnis von Regierungen, die sich selbst am nächsten sind. Dann kommt lange nichts. Dann die Wirtschaft, wovon hauptsächlich Konzerne. Weil da viel Geld ist. Und dann auch mal die Bürger, die der guten Form halber gelegentlich wählen dürfen.

Die Nation: das Markenprodukt des Volkes

Das Pech der EU: Bürger lieben Nationen. Die Nation ist das exklusive Markenprodukt ihres Volkes. Die Nation schafft eine Identität, mit der man sich verbunden fühlt – am stärksten dann, wenn die Bedrohung durch Fremde und Fremdes am schlimmsten erscheint. Die selbstbewusste Nation ist mächtig und kann auch gefährlich sein. Aber: Ist die Bedrohung echt, hilft die Nation. Jedenfalls fällts leichter, daran zu glauben, als an die EU als Retterin in schlimmster Not. Zu oft konnte sich die EU bei bedeutenden Gefahren nicht einmal auf eine gemeinsame Meinung, geschweige denn auf eine gemeinsame Handlung einigen.

Die EU mag praktische Vorteile und ein Gemeinschaftsgefühl für den Alltag bringen. Aber als Backup werden die Völker Europas ihre Nationen noch lange behalten wollen. Das ist gut. Die EU steht somit unter Leistungsdruck. Sie muss sich wirksam bemühen, Bedrohungen des Lebens und der lebenswichtigen Werte europäischer Völker zu bekämpfen. Sonst werden Nationen in der EU noch schneller wiederauferstehen.

Wer ist der Dumme, wenn die Mehrheit entscheidet?


Vorab: Ich bin froh, dass die Briten für den Brexit gestimmt haben. Ich wünsche mir ein Europa mit Vielfalt der Länder und Freiheit der Völker, keine Bürokratie mit künstlicher Einheit.

1992 hatte sich auch das Schweizervolk für seine Freiheit und Selbstbestimmung entschieden. Unzählige Experten, die meisten Medien, viele Wirtschaftsführer und Politiker fast aller grossen Parteien mit Ausnahme der SVP, sie alle hätten die Schweiz längst in die EU geführt und prophezeiten nach dem Nein zum EWR-Beitritt nahezu den Untergang der Schweiz. Ein Glück, ist Ihnen das Schweizer Volk nicht gefolgt!

Wie reagiert jetzt die EU auf das Votum des britischen Volkes? Eine bemerkenswerte Verachtung äussern selbst die höchsten EU-Funktionäre; das unfolgsame britische Volk bringt die Berufspolitiker in Brüssel aus der Fassung. Das ist nicht überraschend, die heutige EU mag keine direkte Demokratie.

Natürlich ists für Berufspolitiker angenehmer, wenn sie sich nur um ihre Wahl kümmern müssen und allenfalls nicht einmal dazu des Volkes Stimme benötigen. Doch ist direkte Demokratie besser für das Volk? Die Machthaber in Europa haben Angst vor dem eigenen Volk. In Deutschland hat sogar das Volk Angst vor sich selbst. Das ist historisch verständlich und trotzdem falsch. Die Macht der Volksmehrheit ist besser als jede andere politische Macht!

Kann die Mehrheit des Stimmvolks irren, falsche Entscheidung treffen? Ja, sie kann. Doch welche Menge an Entscheidern kann nicht irren? Die Menge eines Parlaments, einer Kommission? Die Menge der G7-Regierungen? Die Menge der Präsidenten von Weltmächten?

Jede beliebige Anzahl Menschen kann irren. Das ist gar nicht der entscheidende Punkt. Entscheidend ist, dass niemand eindeutig und abschliessend bestimmen kann, was falsch und was richtig ist. Die Qualität kann bestritten werden. Die Quantität ist messbar, Stimmen sind zählbar. Das ist entscheidend.

Zu wünschen ist, dass zumindest langfristig jedes Volk – diese Schicksalsgemeinschaft von Leuten – das eigene Zusammenleben gemeinsam und direktdemokratisch bestimmen darf. Zwischenzeitlich soll EU-Europa sich bitteschön verkneifen, anderen Demokratien – namentlich Russland – Demokratiedefizite vorzuwerfen. Die EU hat selber noch mehr als genug Mangel an echter Demokratie.